Konzertberichte

CARROUSEL (FR+CH) + listentojules (DE) // 23.01.2023 // Jazzhaus // Freiburg (DE)

Diese Woche findet in der Messe Freiburg die Internationale Kulturbörse statt, die „größte Fachmesse im deutschsprachigen Raum für Bühnenproduktionen, Musik und Events“. An Bord sind viele professionelle Künstler_innen, die sich besser vermarkten möchten. Als „Live-Showcases“ dabei sind auch die beiden Bands listentojules (Workshop Nachhaltigkeit in der Musikbranche) und CARROUSEL (20-minütiger Bühnenslot). Abends stehen dann beide im Jazzhaus auf der Bühne. Die Frage des Tages: Was taugt Musik, die sich zumindest teilweise dem Kommerz unterordnen muss?

Bei den ersten Klängen von listentojules wird klar – das stehen sehr gute, ausgebildete Musiker auf der Bühne. Der Sound ist sehr jazzy-convenient und damit passend zur Paillettenjacke der Sängerin und zur Einrichtung des Konzertsaals: Links und rechts bestuhlt, man nimmt Platz, um die beschwingte Musik und ein Getränk zu konsumieren. Die Keys perlen, Julia Nageles Stimme ist wirklich gut und hat einen erstaunlichen Umfang, das Drumset wird jazzig bedient. Ich zolle dem musikalischen Können Respekt und bewundere die drei, wie locker die das machen. Das war´s dann aber leider schon. Emotionen oder Leidenschaft kommen bei mir nicht so richtig an. Ich mag Musik genau dann, wenn sie die Leute so spielen, wie sie grad drauf sind. Hier habe ich eher das Gefühl, dass da jemand mit einer Strahle-Lächel-Maske vor mir steht, sprich Li-La-Launebär, noch härter formuliert: aufgesetzt. Schad. Ein Schuss Authentizität würde den Mini-gig vielleicht sogar zu einem guten werden lassen. Als ob ich nicht schon genug rumgemäkelt hätte, geht mir der doch arg auf´s Brot geschmierte Hinweis auf „das Regenwald-Projekt“ mit irgendwelchen Tantiemen, die aus dem Merch dorthin fließen, plus mehrmaligem Hinweis auf den Merch, den Merch, den Merch, echt auf den Zeiger. Charity is schon gut, aber so offensichtlich mit dem eigenen Profit verknoten is halt plattes Bertroffenheitstrittbrettsurfing. Kammer auch machen ohne zuuu aufdringlich drauf hinzuweisen. Wearetheworldwearethechildren, Healtheworldmakeitabetterplace. Als ob´s nicht schon reicht, weist die ansonsten wirklich begabte Sängerin zusätzlich auch noch drauf hin, dass die Welt schon wieder wird „wenn wir alle etwas mehr tun“. Da sag ich jetzt nichts zu sonst werd ich noch wuschiger.

Bissl ernüchtert warten wir auf die zweite Band des Abends – CARROUSEL. Diese wurde 2007 von Sophie Burande aus der Französischen Auvergne und Léonard Gogniat aus der Schweizer Romandie gegründet. Die beiden haben sich in Südfrankreich kennengelernt, als sie zufälligerweise auf demselben Marktplatz Straßenmusik gemacht haben. Da hat´s dannmalkurz gefunkt. „On va s’aimer, on va danser // Oui, c’est la vie, la la la la la“ wie sie´s auf der Bühne regelmäßig zu singen pflegen . Heute singen und spielen sie vor allem Songs aus ihrem (ratet mal wievieltem) Album „Cinq“. Die sind gut!

Schon nach Takt Nummer 1 werden die Sitzplätze an den Saalflanken verlassen und die Tanzfläche in der Mitte des Raums besetzt. Die Leute um uns rum dancen wie die Wilden. Ich hab HandaufsHerz noch nie so viele Styles auf einem Haufen gesehen. Es werden ordentlich die Arme und Oberkörper rotiert und geschwenkt, Paartänze und Mehrpersonenreigen sind zu sehen, kasatschokartige Beinmoves. Im realen Leben hätte ich im ein oder anderen Fall vorsorglich den Notarzt geholt aber hier freue ich mich arg, dass die ins Jazzhaus gespülten Kinder Gottes so richtig ausgelassen und glücklich sind. Die Performance auf der Bühne steht dem in nichts nach – Sophie ist meist nur auf einem Bein zu sehen, weil sie ständig rumhüpft wie ein Känguru. Die Multiinstrumentalistin muss ja irgendwohin mit ihren Hummeln. Da isses gut dass Léonard der feste Anker ist und in der Paarbeziehung wohl eher den Ruhepol darstellt.

Die Musik ist so, wie man sich Frankreich im Klischee vorstellt. Fröhlich-ausgelassen, locker-flockig und schön nach vorne. Leichter und eingängiger französischer Pop voller Charme und Poesie. Und das mit einer Energie, die das Jazzhaus zu Leuchten bringt. Zusätzlich zur sehr schönen Neon-Bühnenbeleuchtung. Uns gefällt das ausgesprochen gut und die Leute hören in den Pausen zwischen den – teilweise doch recht ähnlichen – Songs gar nicht mehr auf zu klatschen. Im Gegensatz zur ersten Performance des Abends habe ich hier den Eindruck, dass die Musiker ihre Musik auch tatsächlich leben.

Kreativ wird´s an vielen Stellen – etwa wenn ein Minipiano, so ein indonesisches (?) Metallodings oder ein übergroßes Wasauchimmerphon bedient wird. Besonders bezaubernd finde ich die folgende Szene: Sophie verschenkt zahlreiche kleine Spieluhren an das Publikum, die eine Melodie aus dem eben zum Besten gegebenen Lied spielt. Da sehe ich nun erwachsene Menschen mit leuchtenden Augen, als ob sie Kinder wären und am Heiligabend etwas ganz wertvolles geschenkt bekommen haben. Doch nicht genug – Sophie und Léonard deuten an, dass jetzt alle ihre Spieluhren betätigen sollen. Und was dann passiert, ist unbeschreiblich. Es ergibt sich eine wundervolle Melodie mit ganz viel Reverb und Interferenzen – hab ich so noch nie gehört. Spätestens jetzt hamse mich.

Leider schließt das Set nicht so gut ab wie es die meiste Zeit war – am Schluss hauen die beiden zwei Songs raus, die offensichtlich auf den Eurovision Songcontest zielen bzw. gezielt haben (J’avais rendez-vous). Das geht schon sehr in Richtung Schlager, ist in meinen Augen in der Bühnenversion völlig overproduced und auch die Authentizität der beiden Straßenmusiker weicht plötzlich der professionellen Inszenierung. Egal – abhaken.

Was bleibt ist eine wundervolle Erinnerung an einen schönen Konzertabend im Jazzhaus. Für Sophie und Léonard bleibt das sogar zum Anfassen – bei jedem Konzert lassen sie sich zusammen mit dem Publikum mit einer Polaroid fotografieren und kleben das Bild dann in ein „Tour’Buch“ ein, wo die Gäste des Abends persönliche Kommentare hinterlassen können. Liebe Sophie, lieber Léonard, von mir kriegt ihr den Kommentar hier in diesem Poesiealbum: <3 Danke für die viele positive Energie, die gerade in verrückten Zeiten wie diesen so wertvoll ist <3.

Zur Frage des Abends: Was gibt’s zu sagen zum Thema Kommerz und Musik? Unsere Meinung: Solang die Musik dabei am Leben bleibt und zumindest die meisten Songs noch das ausdrücken, was die Künstler_innen im Herzen tragen, ist das oke. Denn es soll ja nicht so enden wie bei Äsop, sondern wie bei Leo Lionni.

listentojules

CARROUSEL

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