Konzertberichte

Grandbrothers (CH + DE) // 03.02.2023 // Take Over Festival // Festspielhaus // Baden-Baden (DE)

Grandbrothers füllen regelmäßig die Feuilletons der etablierten Berichterstattungs-Produktion. Mich hat´s da natürlich in den Fingern gejuckt, all das zu lesen, um für den Bericht hier gut vorbereitet zu sein, um mich insbesondere vor dem belesenen Klassik- und Jazz-Publikum, das im mondänen Baden-Baden standesgerecht champagnersüffelnd seine Aufwartung macht, nicht zu blamieren. Aber hey, YOLO, ich schreib das jetzt runter ohne das alles gelesen zu ham, mirsowasvonegalwasdieandernüberdenmischidenken, sagt sich euer Lieblingsautor einmal mehr. Hier lest ihr also: Was kommt bei einem Menschen an, der Musik mag, offene Ohren, aber null Ahnung von der Theorie hat.

Bissl was wusste ich dann doch schon vorher, z.B. das, was in Wikipedia in der Einleitung steht:  „deutsch-schweizerisches Musikduo, 2011 in Düsseldorf gegründet, stilistisch zwischen Klaviermusik und Electronica. Sound: Mischung von klassischem Klavierspiel und selbst entwickelter Apparatur aus elektromechanischen Hämmern, die softwaregesteuert auf unterschiedliche Teile des Klaviers klopfen. Diese Beschreibung gewinnt in seiner Nüchternheit jetzt nicht zwangsäufig den Literatur-Nobelpreis, aber hey: für dreyeck-vibes.eu langt´s.

Im Rahmen des Takeover Festivals hätten wir uns im Rahmen des „Mensch und Maschine Workshops“ den Aufbau der Pimp-my-Piano-Apparatur gemeinsam mit den beiden Soundastronauten Erol und Lukas anschauen können. Aber da hatte ein Mini-affiner Marder was dagegen… Schön mit Schmackes zugebissen in den wohlig-warmen Schlauch und schon hüpfte Winston (das tiefschwarze, trotz fortgeschrittenen Alters bildhübsche Dreyeck-Mobil des Abends) wie ein Laubfrosch durch Freiburg, um schließlich friedlich am Straßenrand neben dem Kaufland seinen letzten Schnaufer zu tun. In Freiburg ist sowas, eh klar, kein Problem, denn die lokale Bevölkerung ist strong like Schwarzenegger und mit der Hilfe von drei Freiburgies (DANKE <3) haben wir Winnie schnellma aufn erstbesten Parkplatz-Spot gemoved (bergauf…). Kurzer Sprint zum Grüne-Flotte-Parkplatz, 10 Minuten den blöden Unlock-PIN gesucht, ab auf die A5, linke Spur, Kreuz Achern, rechtsab, in die Tiefgaragenspindel rein, Treppen hoch, Garderobe, Buddha Bowl reinzimmern inkl. Bocksbeutel-Riesling und zack schon sind wir im Konzertsaal! Wahrscheinlich schneller als Lichtgeschwindigkeit, aber das kann eh kein Mensch jemals messen geschweige denn wahrnehmen.

Mein erster Gedanke noch bevor die Grandbrothers auf der Bühne erscheinen: Heutabend geht´s um Schwingungen. Licht, Töne, Tanz, Puls, alles Wellen. Die wiederum unendlich viele Interferenzen erzeugen können in den performenden, sitzenden und dancenden humanoiden Resonanzkörpern. Bevor ich jetzt eine Abhandlung über Quantenphysik schreibe und ich den Gedanken kristallisieren lasse, ob man solche Wellen jemals völlig zu Stehen bringen kann im Universum (selbst der Urknall schwingt ja noch nach), geht´s schon los: Bühne frei für Erol Sarp und Lukas Vogel, unsere Firestarter des Abends.

All the Unknown“ heißt das aktuelle Album und euer Mischi denkt sich bei den ersten, zitherartigen Tönen, die von den selbstgebauten elektronischen Hämmern auf den Saiten des Grand Pianos erzeugt werden, „das wird ein ruhiger, meditativer Abend“. Meditativ wird´s in der Tat, aber am Schluss im Stehen zu Technobeats beim Dancen und Trancen, Hingeben. Später mehr.

Jetzt also erstmal das vangelis-artig pulsierende, sombre Endzeitstück „Howth„. In der irischen Mythologie ist Howth der Schauplatz der „Schlacht von Étar“. Inhalt: Aithirne Áilgesach ist in ganz Irland wegen seiner Habgier berüchtigt. Bei einer Rundreise auf der Insel im Auftrag des Königs stellt er überall dermaßen überzogene Forderungen an seine Gastgeber, dass alle super angepisst sind. Als er sogar versucht, in Leinster 150 Girls abzuschleppen, gibt´s Zoff, wie die Bild-Zeitung damals getitelt hätte, wenn es sie schon gegeben hätte. Beim folgenden Kampf um alles oder nichts wird der Böse von den Guten enthauptet und alles is wieder ne zeitlang gut. Das Gehirn des Unterlegenen wird zum Ball geformt (irgendwie nich so richtig Knigge-konform, just sayin). Später spielt der Brainball dann ne Rolle in weiteren Staffeln der Irish Mythology. Is mir zu arg, hab die Spurverfolgung wegen Langwierigkeit abgebrochen wie damals Trailer Park Boys auf Netflix.

Der Sound wird immer fülliger und schließlich so dense, dass es für die Hörer_innen kein Entrinnen mehr gibt. In den Gängen des Festspielhauses winden sich die Tänzer_innen der Münchner Iwanson-Tanzgruppe zu den Beats. Wow! Bin völlig geflashed! Spätestens bei „Shorelines“ haben mich die Grandbrothers respektive ihr organisch-überwältigender Sound vollkommen am Wickel. Zu den Ozean-Klängen gibt´s blaues Licht und ich schwebe unter dem bewegten Meeresgrund, neben mir übersetzen die Underwater-Dancer das Musikalische kongenial in Bewegungsform. Ich bin eins mit allem um mich rum. Flow flow flow…

Als dann eine an Debussy erinnernde Melodie erklingt und nach vorne drückende, treibende, einem relaxten Herzschlag ähnelnde Beats einsetzen, hält es die meisten der Anwesenden nicht mehr auf ihren Sitzen, uns inklusive. Wir erfahren am eigenen Leib, was uns Erol Sarp mit seinem sympathisch-verschwurbelten Humor eben noch versucht hat, verbal zu vermitteln: Wir werden alle, die wir gerade an diesem Ort sind, zu einem gemeinsamen, komplexen Organ verschmelzen und einen Energiekreislauf in Gang setzen. Erol, Lukas und das Auditorium plus das ganze Weltall vereinigen sich und schwingen miteinander, alles amorph, panta rhei, Energie wird frei. Um das korrekt zu beschreiben, gibt´s nicht ausreichend Worte, da muss man dabeigewesen sein.

Weiter geht´s. Immer weiter weg und immer schneller lassen wir uns treiben. Vor meinen geschlossenen Augen entstehen Farben, Gefühle steigen hoch, ziehen vorbei und verschwinden wieder. Dann: „Ezra was Right„, das im zweiten Teil durch Deutlichkeit, Klarheit und Schlichtheit besticht. Spätestens jetzt wippen auch diejenigen, welche einfach andere Antennen für das Umgebende ham, sprich ADS. ADS eh komischer und irreführender Begriff da ja kein Defizit sondern eher Zuviel und anders. Egal. Es werden alle Kinder glücklich heutabend, nicht nur die feingeistigen Norm-Connaisseure.

Nach zwei Zugaben geht das extrem spannende und inspirierende Konzert zu Ende – und wir verlassen mit anderen, genau in diesem Moment Glücklichkeit ausstrahlenden Leuten den riesigen Konzertsaal. Selfie, Garderobe, Tiefgaragenspindel hoch, ab auf die A5, Scheibenwischer an, linke Spur, Kreuz Achern, Freiburg-Nord, Grüne-Flotte-Parkplatz, der Rest ist privat.

Tipp vom Mischi: 2024 unbedingt das Takeover Festival besuchen, Kategorie musch/brauchsch.

Ein Gedanke zu „Grandbrothers (CH + DE) // 03.02.2023 // Take Over Festival // Festspielhaus // Baden-Baden (DE)

  • Wow. Klingt echt Grand, die Brothers.

    Danke fürs Berichten.

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