Konzertberichte

Lambert (DE) // 24.02.2023 // Jazzhaus // Freiburg (DE)

Das ist mir jetzt zum allerersten Mal passiert, dass ich zum Schreiben eines Artikels die Musik ausmachen muss. Der Grund: Eigentlich hab ich mich gestern Abend schon an die Tastatur gesetzt, mich dann aber vollkommen in Lamberts Musik verloren. Kein einziger Satz ist deshalb rausgekommen. Geschlagene dreieinhalb Stunden lang kein einziger Buchstabe. Nicht mal ein minikleines, kaum zu sehendes, schlankes „i“. Anspieltipps: Sweet Apocalypse, I’ve Never Been to China, Gdansk, The Open, Pants, As Ballad, Grauer Beton. Jedes Stück immer so 10-15 mal hintereinander, Dauerschleife bzw. Dauerspirale. Letzterer Song der Tocos ist in der ziemlich arg empfehlenswerten „Lambert Favorites“ Playlist enthalten. Ordinary World von Duran Duran übrigens auch, wird gleich schön eingereiht in mein Spiralendings. Und jedes Mal als ich gedacht hab ich bin raus – zieht es mich wieder rein. Schön 10-15 mal hintereinander.

Lambert, die Kunstfigur des Hauptprotagonisten des heutigen Abends, trägt auf der Bühne eine sardische Holzmaske, die aus der Ferne vielleicht wie eine Ledermaske aussehen mag. In einem Radiointerview hat der Hamburger, inzwischen Wahlberliner Typ hinter der Maske gesagt, er hätte den Leuten, welche die Maske hergestellt haben, versprochen, dass er immer dazusagen würde, dass die Maske aus Ottana sei, im Gegenzug dürfe er sie auf der Bühne tragen. Das ist nun mein zweites Lambert-Konzert im Jazzhaus und kein einziges Mal hat er Ottana auch nur ansatzweise erwähnt. Mannmannmann. Deshalb muss ich des hier und jetzt machen, wenn der Lambert mich net hätt, echt ey. Es ist also die Gestalt eines Ochsen (Boe), welche die Kunstfigur verkörpert. Das Erdtier, das mit seinem Hirten (Merdule) in einer Art Symbiose lebt. Ochs und Hirte – da war doch was. Ah stimmt, meine alltime Lieblingsgeschichte handelt da ja auch von. Zu Bild 7 heißt es da: „Schon ist der Hirte heimgekehrt auf dem Rücken des Ochsen // Es gibt keinen Ochsen mehr // Allein sitzt der Hirte, müßig und still // Ruhig schlummert er noch, da doch die rot brennende Sonne schon hoch am Himmel steht // Nutzlose Peitsche und Zügel, weggeworfen unter das strohene Dach“. Es war für mich immer selbstverständlich, dass die Geschichte nach dem Vergessen des Ochsen nur mit dem Hirten weitergeht, welcher durch vollkommenes Loslassen Erleuchtung erfährt und danach in der Welt Gutes tun kann. Sprich Happyend. Ich hab‘ mir nie Gedanken gemacht, was der Ochse so gemacht hat, nachdem er vergessen wurde. Samma! Und jetzt steht er auf der Bühne urplötzlich leibhaftig vor mir. Also zack – Schuppen von den Augen. Später mehr dazu.

Im Gegensatz zum letztjährigen Auftritt, in der Lambert ohne Unterstützung vor allem aus seinem Corona-Werk „Out“ gespielt hat, kommen heute drei Musiker auf die Bühne. Felix Wiegt (Kontrabass) und Luca Marini (Drums) unterstützen Lambert in Sachen Rhythmus. Und das richtig gut, soviel sei schonmal vorweggenommen. 

Seinen schön trockenen Hamburger Humor hat Lambert auch wieder mitgebracht nach Freiburg. Bei seiner ersten Publikumsansprache nach drei Stücken weist er erstma den Mischer an, sein Mikro soweit hochzuziehen dass man meint, es spräche der liebe Gott. Weil: Ankündigung des neuen Albums, das demnächst erscheinen wird. Es folgt die „übliche“ Gebrauchsanweisung für das Konzert. Lambert instruiert das Auditorium, dasses okay ist bei seiner Musik Gefühle zu haben. Auch Hass, das findet er persönlich jetzt net so gut aber wenn’s des is, isses des halt. Seiner Freude soll man an geeigneten Stellen durch ein kurzes, gepresstes „woo“ Ausdruck verleihen. Messungen hätten ergeben, dass die drei nach solchen Ausrufen signifikant geiler abliefern würden.

Nachdem ich beim letzten Mal mitgefühlt hatte, dass Lambert sehr traurig war, seine Chinareise wegen Corona canceln zu müssen, denke ich dieses Mal: Junge, der is ja wie verwandelt und strotzt nur so vor Energie. „Pants“ bestes Beispiel. Sowas komponiert man nicht im tiefsten Tief, eher anderes Ende der Skala. Also freu ich mich dieses Mal so richtig mit.

Die Dreierkombi funktioniert bei allen Stücken extrem gut. Bei „Ghosthouse“ übernimmt der Kontrabass sogar die Klaviertöne und führt sie zu Ende, toll! Bei „Gdansk“ überraschen die drei durch einen abrupten Break, dann wird das Stück komplett von rechts auf links gestülpt, Freestyle Jazz, großes Tennis! Am Schluss dann wieder auf die Melodielinie eingefangen, wow, hätt ich nicht erwartet, fresh. Bei einem weiteren Stück unterstützt die Zwei-Mann-Rhythmik-Abteilung Lambert mit jeweils einer Hand am Klavier, sprich Vierhänder zu dritt. Das warn jetzt sehr viele Zahlen auf einmal, tschuldi, bin halt Zahlennerd, soll nimmer vorkommen sowas. Eine starke Szene, sowohl musikalisch als auch optisch wenn die drei Jungs in Lotterklamotten innig nebeneinander sind. Nach drei Encores lässt sich Lambert sogar ein weiteres Mal bitten. Diesmal kommt er alleine zurück für „Otis“ , ein Song, der zu meiner Stimmung an diesem kalten Regentag gut passt.

Zurück zum vergessenen und damit frei herumlaufenden Ochsen. Für mich steht er kurz nach Sonnenuntergang am sardischen Strand und blickt bissl melancholisch ins türkise Wasser und sieht die Fische unter der glasklaren Oberfläche. Er möchte gerne mit ihnen schwimmen, aber er ist ein wasserscheues Erdtier. Deshalb projiziert er die Fische durch sein Klavierspiel kurzerhand in den Raum um sich herum und schwimmt so mit ihnen. Und wer weiß, vielleicht traut er sich inzwischen sogar ein wenig ins Wasser rein. Gibt ja auch Wasserbüffel hab ich gehört.

P.S.: Wer den Mann hinter der Maske mal gerne sehen würde, hätte besser mal ins Jazzhaus kommen sollen. Denn der steht nach dem Konzert am kleinen Lambert Merchstand. Foto davon? Vergesst es, denkt net mal dran.

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