Peter Kernel (CH) & Eva Pandora (CH) // 10.03.2023 // Kaserne // Basel (CH)
Dreyeck-Vibes-Premiere in der Kaserne in Basel. Meaning Deutsche Bahn, bin großer mitm-ÖPNV-wohinfahr-Fan. Leider dann Ansage am Bahnhof Freiburg: Alle aussteigen, Zug wird nicht fahren. Gleichzeitig leider keine Ansage, wie der kleine Mischi jetzt nach Basel kommen soll. Aber hey – es gibt ja die freundlichen Menschen am DB-Schalter, die einem da ja weiterhelfen können. Leider erwische ich dort nach den Anstehen ein extrem unfreundliches, irgendwie aggressiv-gefrustet aufgelegtes Modell. Obwohl ich ganzklar dafür bin, dass möglichst viele „einfache“ Jobs erhalten werden müssen, ertappe ich mich dabei, mir jetzt eine Künstliche Intelligenz herbeizuwünschen, die mir im neutralen Ton auf meine Frage antwortet, wie und wann ich jetzt weiterfahren kann. Vielleicht sogar mit so einem Premium-Zusatzmodul, das einfach nur kurz „tschuldi“ sagt weil es heutabend echt kalt und regnerisch ist und meine Jacke nichma soo dick, meaning draußen warten eher im subprime Bereich. Im Moment grad beim Schreiben gibt’s heißen Ingwertee gegen den kratzenden Hals. Irgendwie scheint’s da nicht sooo richtig geil zu laufen bei der tschacka-privatisierten Aktiengesellschaft wenn die Angestellten da so angekratzt sind. Key Performace Indicators für die Unternehmenskultur wohl noch nicht im dunkelgrünen Tacho-Erreichungs-Bereich. Gleichzeitig für die Rendite wahrscheinlich eher irrelevant. Schad für die Menschen auf beiden Seiten der DB-Schalter.
Mit einer Stunde Verspätung komme ich in der Kaserne Basel an und nehme die Location unter die Lupe. Schöne Bar, der Bierpreis schmerzt aber schon sehr wenn man wie der Mischi aus einem Entwicklungsland ins eidgenössische EU-Ausland reist (bissl über 9 Euro für`s große). Aber hey wer beklagt sich hier? Alles relativ, dasselbe denkt sich wahrscheinlich auch jemand, der kriegsbedingt aus wasweißichwo nach Freiburg gespült wird und dort ein Bier trinken möcht. Der Club der Reichen kostet halt Eintritt.
Das Konzert des Abends findet im „Rossstall“ statt. Der hat einen Vorraum mit Bar und loungigen, edlen Möbels. Da pflegt das Auditorium dann beim Apéro zu warten bis die ersten Töne im Saal nebenan erklingen, dann geht man kollektiv rein. Ich denke bei mir: Für die Vorband, die dann quasi vor niemandem anfängt, muss sich das schon schräg anfühlen. Ganz allein ist die Vorband des heutigen Abends aber nicht, denn ich genieße zusammen mit 2-3 weiteren Menschen den extrem guten Sound im Saal. „A forest“ läuft. Der Song ist glasklar der Soundtrack meines ersten Vierteljahrs 2023. Jetzt läuft er hier, Zufall? Völlig egal, ich wunder mich eh über nichts mehr in meinem Leben. Robert Smith singt vom „immer schön in den Wald rein, dann plötzlich geghostet. Again and again and again and again“. Gut, dass ich nächste Woche in die westsibirische Steppe Kasachstans zur Wahlbeobachtung fliege, da gibt’s keinen Wald sprich Pause oder gleich ganz den Fluch ablegen.
Jetzt aber mal los mit der Konzertberichterstattung! Die Bühne ist außergewöhnlicherweise mit zwei Schlagzeugen nebeneinander bestückt. Die kommen bei der ersten Band, Eva Pandora aus Basel, aber ulkigerweise gar nicht zum Einsatz. Zwei Personen, Gitarre, Gesang, Bass. Die Beats kommen aus der Retorte. Macht aber gar nix, der erste Song haut mich gleich um. Heaven heisst der. „I can feel, I can see all with my heart // I can give and receive all with my heart // I forgive what has been all with my heart // I can read who you are all with my heart“. Dazu stehen die beiden extrem schönen Menschen fast maximal weit entfernt auf der Bühne, beide sehr in sich gekehrt mit geschlossenen Augen. Trotzdem ist die Verbindung der beiden zu deutlich spüren. Wahnsinnig intense sogar. Als „Heartcore“ bezeichnet die Songwriterin Eva Struker ihre Musik. Passt zu 100%. Mit dem hypnotischen „Ich mag dich“ geht´s weiter, und bevor ich euch zuspoiler mit meiner Meinung zu all den guten Songs forder‘ ich euch diesmal einfach auf: Erschließt es euch selbst! Soviel vorweg: Es lohnt sich, anzuhören, was Eva Pandora in ihrem Schatzkästlein wundervolles bereithält.
Weiter zu Peter Kernel, dem Main Act des Abends. Die Schweiz ist für mich musikmäßig noch ziemlich Terra Incognita. So bin ich erst letzte Woche über Peter Kernel gestolpert, nach eigenen Angaben eine „amateur professional band“. Aktiv seit 15 Jahren, international mehr als 700 Konzerte auf dem Buckel. Also ne Nummer. Am Merch kann man von Aris Bassetti und Barbara Lehnhoff Nachtmahr-artige Figuren mitohne Augen kaufen. Geheimnisvoll, geheimnisvoll, Vampire der Nacht.
Beeindruckend ist das doppelte Drumset in der Mitte der Bühne, nicht weniger beeindruckend gespielt bzw. teilweise sogar so dermaßen verdroschen dass sich sogar ein Crash-Becken selbst abschraubt und erstmal neben der Szenerie erholen muss.
Der für mich stärkste Song, „Men of the Women“ beginnt schräg und sinsiter und steigert sich dann hypnotisch weiter. Dann stellt sich Aris kurzerhand ins Publikum und spielts raus als ob er der Leibhaftige wär. Von der Bühne runter screamt Barbara erst auf italienisch dann auf englisch sehr dark warnend: „She’ll make you animal and crawl about now figurе it out // And for the first time you’ll have fallеn stupid calling it love“. Ich lass mir dazu den Rücken an der Bassbox massieren. Sehr sehr geil. Sehr sehr sehr geil.
Später dann holen die Peter Kernels sich noch ein paar Leute auf die Bühne. Aris fordert dazu das Publikum auf, dass „the shyest in the room“ auf die Bühne kommen sollen. Und bevor’s passiert ist mir schon sonnenklar, wer sich als allererstes aufdrängen wird obwohl ja „the shyest“ gefragt ist: Der Typ, der mir schon die ganze Zeit auf den Senkel geht. Erste Reihe, auffälliges Hemd, raumgreifender Dancestyle ohne Rücksicht auf die Nachbarn. Der schreit mir dermaßen „ich finde mich geil“ entgegen dass ich meinen Narzissten-Ablehn-Trigger nicht mehr zurückpfeifen kann, sprich Pferdchen schon aus dem Stall. Vielleicht ist das ja ein ganz verträglicher Typ und ich urteile da völlig falsch. Aber hey: Er steht zwei Millisekunden später ohne Aufforderung auf der Bühne. Genau in der Mitte, eh klar. Ich fokussiere mich lieber auf die vielen, vielen schönen Menschen hier im Raum, welche die Musik auf andere, für mich sehr viel angenehmere Weise genießen. So rät es mir ja auch Sibylle Berg, meine stille Mentorin: „Schau dir die Menschen an. Alle!“ . Die findet dieses männliche geil-sein-wollen auch schon viele Leben lang minusgeil. Und wenn ich mir die Weltgeschichte unter dem Aspekt des Y-Chromosoms so anschau, denke ich, dass auf der Seite meiner Y-Genossen langsam einfach mal Demut und Zurückhaltung angesagt wär. Aber was müh ich mich hier ab – Narzissten lesen das hier eh niemals nicht.
Peter Kernel blasen mich komplett weg – ein wahnsinns gutes Konzert! Was ich allerdings überhaupt nicht verstehe: Der Saal hier ist nichtmal zur Hälfte ausverkauft. What’s wrong Basel??
Auch das schönste Erlebnis geht mal zu Ende – und ich verlasse nach den Encores die wirklich sehr sympathische Location. Da kommen mir an der Ampel die beiden Herzchen von Eva Pandora entgegen, waren wohl frische Luft schnappen und bissl flanieren. Und sie sind einfach so schön wie sie einfach nebeneinander gehen ohne miteinander zu reden. Ich spreche sie kurz an, werfe ihnen einen Handkuss zu und kriege dafür zwei zurück. Und mit wohliger Wärme im Herzen fahre ich zurück nach Freiburg, ab in die Heia, Äuglein zu für heut.
Peter Kernel
Eva Pandora